Bari - Sound, oder doch Saxophonsound im allgemeinen

Eine unerfreuliche Tatsache für den Baritonsaxophonisten ist es, dass es gar nicht so viele Baritonisten mit einem guten Sound gibt - das heißt für mich einen flexiblen, ausdruckstarken und persönlichen Sound, das heißt vom Format eines sagen wir Gene Ammons, oder Joe Henderson, oder Cannonball Adderley, oder Eddie Daniels. (Gerade viele Amateure sind zufrieden damit, wenn es untenrum schön knattert.) Es fehlen die zahlreichen Vorbilder, die etwa ein Tenorist hat. (Ich empfehle hier mal Aufnahmen von Gerry Mulligan in seinen späten Jahren; es gibt auf Youtube hinreißende Konzertmitschnitte aus den 90ern. Und dann gibt es auch Leute wie Bruce Johnstone z.B.)

Nach diesen harten Worten sollten wir uns vielleicht Gedanken machen, was genau wir eigentlich meinen mit dem ominösen guten Sound, das heißt die eher musikalischen als technischen Aspekte (oder uns prakischen Übungen zuwenden, s.u.).

 

Wenn wir bei Bläsern und speziell Saxophonisten von Sound sprechen, dann denken wir zunächst an eine Klangfarbe, also etwa hell/dunkel, rauh/klar, ähnlich dem Timbre eines Sängers. Das ist aber nur ein Teil der Sache; dazu ein paar Beobachtungen:

1. Jedem, der sich etwas mit Aufnahmen aus den 40ern, beispielsweise von Lester Young, beschäftigt, fällt auf, dass dieser Saxophonist von der Klangfarbe her sehr unterschiedlich klingt, von Session zu Session, je nach Plattenstudio oder Zustand der vielgespielten 78er. Selbstverständlich ist er trotzdem immer als Lester Young zu identifizieren.

2. Es gibt hinreißende Sänger, die ein unschönes oder geradezu unangenehmes Timbre haben. Billie Holiday ist hierfür ein schlagendes Beispiel (oder Charles Aznavour!), und von Stan Getz kann man sagen, das sein Sound manchmal etwas komisch Gequetschtes hat (er kann aber ein unglaublich ausdrucksvoller Spieler sein; Plattentip: Getz plays Bacharach). Das scheint aber nicht so wichtig zu sein...

3. Wenn wir selbst auf unserem Instrument ein Stück wie "One Note Samba" spielen, stellen wir fest, dass es sehr leicht langweilig  klingt, was es im Original keineswegs ist; und das liegt nicht nur daran, dass Joao Gilberto so ein großartiger Sänger ist. Es ist einfach so, dass wir "dadadaah-dadadat-at-ad" machen, während Joao Gilberto alle Konsonanten, Vokale und Diphtonge der ungemein klangvollen brasilianischen Sprache zur Verfügung stehen, das heißt ganz simpel: tatsächlich klingt jeder Ton anders.

 

Damit kommen wir zu dem, was meiner Meinung von zentraler Bedeutung ist für eine "guten" Saxophonsound: eine lebendige Artikulation und eine präzise Vorstellung davon.

Ganz wichtig ist zunächst, dass wir beim Anstossen lernen, zwischen "da" und "ta" zu unterscheiden, und zwar von laut bis leise. Später können wir die Zwischenstufen dazunehmen und uns an Konsonaten wie "s", "l" oder einem englischen "th" versuchen (es geht hierbei eher um die Vorstellung davon als das tatsächliche Resultat).

 

Ein weiteres Element, das für den Gesamtsound entscheidend ist, und das oft unterschätzt wird, sind die kleinen Pausen oder Einschnitte, die durch die Artikulation mit der Zunge entstehen (können). Sie sind wesentlich dafür verantwortlich, dass etwa Achtelphrasen gespielt von Dexter Gordon oder Coleman Hawkins so unterschiedlich klingen.

Um beim Beispiel von vorhin zu bleiben: wenn der Sänger "Uma Nota" singt, dann kann er diese Stelle ganz unterschiedlich gestalten, je nachdem, wie lang das "o" ist und wie lang er beim "t" die Zunge hinter den Schneidezähnen lässt, und wie lang die dadurch entstehende Pause wird.

 

Als Saxophonist sollte man sich klarmachen, dass jeder Ton (auch eine Zweiunddreißigstel in einem Coltranesolo) eine bestimmte Länge hat, und das dieser Ton bis zu seinem Ende aktiv gestaltet werden muss und sollte. Ein Pianist hat z.B. keinen Einfluss auf einen Ton, nachdem er ihn angeschlagen hat, außer die Taste zu halten, und was folgt, ist unausweichlich ein Decrescendo. Demgegenüber hat der Saxophonist (wie der Sänger) ungeheure Möglichkeiten, und er sollte sie nutzen und sich Gedanken machen, wie ein Ton zum nächsten trägt (Portamento). Es ist außerordentlich nützlich, mal zu versuchen, eine simple Melodie so einfach und natürlich klingen zu lassen, wie bespielsweise von Paul McCartney oder Bill Withers gesungen (große Meister!)

Für mich persönlich waren bei diesem etwas weiter gefassten Begriff "Sound" neben Sängern wie Mark Murphy, Elis Regina (oder Ella, natürlich) immer auch besonders Posaunisten wichtig, auch und gerade die alten wie etwa Vic Dickenson, Bill Harris oder Jack Teagarden. Immer lohnenswert ist es, mal ein paar Ellington-Aufnahmen anzuhören, vor allem aus seinen großartigen Zeiten 1927-32 und 1940-45, weil man hier einen Haufen sehr individueller Musiker hören kann, die oft "einfach nur" eine Melodie spielen.

 

Kommen wir jetzt zum Praktischen.

Zunächst einmal sollte die Tonerzeugung ohne Mühe funtionieren, das heißt etwa so wie Radfahren in der Ebene, ohne Gegenwind. Wenn das nicht der Fall ist, müssen Ansatz oder Ausrüstung (Blatt und Mundstück) korrigiert werden. Dabei ist das Blatt das veränderlichste Element, und es kann nicht schaden, sich mit ihrer Bearbeitung auseinanderzusetzen.

Was dabei immer wieder unterschätzt wird, ist, dass die oberen Schneidezähne einen festen Halt auf dem Mundstück haben müssen; ist das nicht der Fall, hilft es oft schon, den Halteriemen etwas kürzer einzustellen. Der Bläser beißt dabei auch nicht etwa den Kiefer zusammen, sondern nutzt schlicht das Gewicht des eigenen Schädels aus (was nicht funktioniert, wenn der Riemen zu lang ist). Ein Bissplättchen auf der Mundstückoberseite kann dabei eine Hilfe sein.

Ein anderes wesentliches Element, das den Bläser selbst betrifft, ist die sogenannte Stütze. Dazu muss man sich klarmachen, dass die Luftsäule (als Volumen) nicht nur im Saxophon schwingt, sondern auf der anderen Seite natürlich auch in den Bläser hineinreicht und dort ein festes Fundament braucht, das durch das Zwerchfell gebildet wird; wer in seiner Freizeit singt, wird wissen, was gemeint ist. Eine gute Übung, um ein Gespür für dieses unbekannte Körperteil zu entwickeln, ist es, einen Luftballon aufzublasen, und dann die Luft langsam (!) und kontrolliert wieder in den Brustkorb entweichen zu lassen.

Ein physikalischer Aspekt ist, dass der Körper des Spielers als Resonanzraum für das Instrument dient: Die Schallwellen werden über Zähne und die Schädelkalotte in den Brustkorb übertragen. Dabei schwingen natürlich besonders die Stimmbänder oder -lippen mit, und deshalb ist das der Ort, an dem der Saxophonist Sound und Intonation beeinflussen kann; und das bedeutet auch, dass sich Töne am besten erzeugen lassen, wenn die Stimmbänder auf den zu spielenden Ton "eingestellt" sind, wenn man sich also vorstellt, man würde diesen Ton singen - ein Vorteil für (gelegentlich) singende Saxophonisten. Und das ist auch die entscheidende Hilfe bei den Flageoletts (und ein Grund, weshalb diese Töne auf dem Bari leichter zu erzeugen sind als auf dem Alt).

Was immer (und zu Recht) empfohlen wird, ist das Aushalten langer Töne (ich mache das jeden Tag). Aber schauen wir uns mal konkret an, wie das effektiv genutzt wird:

Ein Ton besteht zunächst aus drei Elementen, nämlich der Einschwingphase, dem eigentlichen dauernden Ton, und dem Abschluss. Dabei sollte am Anfang der Ton ohne Geräusch und möglichst auch ohne Akzent erzeugt werden, und es ist ratsam, das mit und ohne Anstoßen zu Üben. Am Ende sollte der Ton nicht "sterben" oder "abschmieren", sondern klar und neutral aufhören.

Als Dauer genügt eigentlich die Zeit, die der Mensch als "jetzt" empfindet, also etwa 3 Sekunden. Wenn man sich allerdings klar macht, dass die Tonqualität abhängig ist von der Luftmenge in der Lunge - weil sich der nötige Druck mit voller Lunge leichter erzeugen lässt -, sollte man natürlich auch mal Töne solange aushalten wie es geht (oder solange sich eine akzeptable Tonqualität verwirklichen lässt). Sehr empfehlenswert ist auch das Üben mit Metronom, indem man etwa bei einem Tempo von 90 bpm eine Halbe aushält und eine Halbe pausiert.

  Eine andere außerordentlich empfehlenswerte Übung ist, unsere Lieblingsstücke einfach mal halb so schnell zu spielen, also z.B. "Yardbird Suite" aus dem Omnibook bei 112 bpm. Wichtig ist dabei, dass man alles natürlich entsprechend dem Tempo phrasiert, und darauf achtet, was man von einem zum nächsten Ton eigentlich macht.